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Industrie ist mit Lithium-Ionen-Zellen im Reinen

14.10.2011 VDI Nachrichten

SauberraumProduktion: Lithium-Ionen-Akkus sind zwar in der Unterhaltungselektronik und in Werkzeuggeräten etabliert, große Akkus für Elektroautos sind dagegen technisches Neuland. Noch experimentieren Hersteller und Forscher, wie sich deren Leistung, Lebensdauer und Zyklenfestigkeit steigern lassen. Ein Ansatz ist Fertigung in Reinräumen mit extrem trockener Luft. Teils sind unter 0,5 % Luftfeuchte gefordert.

VDI nachrichten, Düsseldorf, 14. 10. 11, ciu

"Wir stoßen in Grenzbereiche der Physik vor", sagt Olaf Nerling, Geschäftsführer der Nerling Systemräume GmbH, Renningen. Exakt klimatisierte Rein- und Sauberräume sind eigentlich das Metier des schwäbischen Mittelständlers. Für Pharma- oder Medizintechnikhersteller hat er so manchen Reinraum mit konstanten Luftfeuchten um 10 % realisiert. Doch was die Volkswagen Varta Microbattery Forschungsgesellschaft kürzlich bei ihm orderte, war auch für ihn Neuland. "Die Luftfeuchtigkeit muss unter 2 % bleiben", berichtet er.

Das 2010 gegründete Joint Venture des Autokonzerns und der Varta Microbattery will neue Wege in der Fertigung und Zellchemie großer Lithium-Ionen-Batterien erkunden. Dafür hat es von den Schwaben den trockenen ISO-8-Reinraum bauen lassen, in dem ein Kalander frisch beschichtete Elektroden-Folien verdichtet. Um die tonnenschwere Walze bei Revisionen anheben zu können, war zudem ein 10-t-Kran im Sauberraum gefordert.

Nicht jeder Experte hält solchen Aufwand für wirklich erforderlich. Dr. Andreas Gutsch, Koordinator des Forschungsfelds Competence E am Karlsruher Institut für Technologie, der 2006 das heute von Evonic und Daimler geführte Batterie-Start-up LiTec gründete, räumt zwar ein, dass bei manchen Fertigungsverfahren der Speicher in trockener Luft gearbeitet werde. Doch das sei eher die Ausnahme und treffe fast nur auf Lithium-Eisen-Phosphat-Zellen zu. Bei allen übrigen Zelltypen sei es dagegen Stand der Technik, unter normalen Atmosphären zu beschichten und nur grobe Partikel aus der Zuluft zu filtern. "Von Reinraum ist da in der Regel keine Rede, das wäre auch zu teuer", stellt er fest.

Reinraum oder nicht? – Dazu hat Markus Rochowicz, Experte für Fertigungsabläufe unter Reinstbedingungen am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung – IPA Stuttgart, eine eingängige Formel: "Man muss so rein wie nötig, und nicht so rein wie möglich fertigen", sagte er Ende letzter Woche auf der VDMA-Konferenz anlässlich der Gründung des Industriekreises Batterieproduktion.

Zur Frage, was nötig ist, verwies der Physiker auf Erfahrungen mit Rollenförderern und Greifern, die im Betrieb durch Abrieb bis zu 15 µm große Partikel freisetzen. Auch Schrauben und ungeschulte Werker seien Kontaminationsquellen. Ob sie auch die Sicherheit und Lebensdauer von Lithium-Ionen-Akkus beeinträchtigen, sei zwar nicht restlos geklärt. Doch Sony habe vor Jahren nach einer Reihe ernster Zwischenfälle Notebook-Akkus zurückrufen müssen. Ursache: Verunreinigungen durch Metallpartikel auf Separatoren. Wenn von 100 000 Elektroautos nur zehn nach Batterieausfällen stehen bleiben, werde sich kaum Vertrauen beim Kunden einstellen, mahnte er.

Neben der Sicherheit stehen Mängel bei der Zyklenfestigkeit, Lebensdauer, Energiedichte und die Kosten der Batterien Großserien-Stromern im Wege. In puncto Zyklenfestigkeit und Lebensdauer gelten bei vielen Herstellern Rein- und Trockenräume als unabdingbar. So produziert und entwickelt das Bosch-Samsung-Joint-Venture SB LiMotive in allen Fertigungsabschnitten unter Reinraumbedingungen. "Alle Arten von Fremdkörpern und Partikeln würden die Qualität und unter Umständen die Sicherheit der Zellen gefährden", so Bosch-Sprecher Udo Rügheimer. Auch bei Temperaturen und Luftfeuchte halte man fixe Bedingungen ein. Exakte Werte legt er aber nicht offen: Betriebsgeheimnis. Gleiches bei JohnsonControls. Sprecherin Ina Longwitz lässt zwar durchblicken, dass Reinräume und penibel überwachte Luftfeuchte in der Batterieproduktion Standard sind. Doch auch sie nennt keine Zahlen. Wie Rügheimer bestätigt sie nur, dass sich die von Nerling genannten Werte in realistischen Größenordnungen bewegen.

Etwas mehr ist von Ernst Barenschee, Geschäftsführer bei Evonik Litarion in Kamenz, zu erfahren. Mit Blick auf die Produktionsprozesse macht er deutlich, warum Partikel und Feuchtigkeit Tabu sind. Als Anoden und Kathoden werden hauchdünne Alu- und Kupferfolien auf wenige µm genau mit Aktivpasten beschichtet, dann im Kalander gewalzt, getrocknet, ehe sie zugeschnitten, mit Separatoren gestapelt, dann kontaktiert und luftdicht verpackt werden. Reinheit ist schon in den ersten Schritten unabdingbar, in denen die pulverförmigen Aktivmaterialien vermischt und unter Zusatz von Bindemitteln zu Pasten verarbeitet werden. Während manche Inhaltsstoffe in den Mixturen dominieren, liegt der Anteil anderer im ppm-Bereich. Die Qualität der Zellen steht und fällt mit einer homogenen Verteilung dieser alchemistischen Rezepturen. Fremdstoffe sind Tabu.

Trockenräume braucht es laut Barenschee aus zwei Gründen: Wassereinschlüsse könnten mit den Aktivmaterialien zu Flusssäure reagieren und so die Lebensdauer verkürzen. Außerdem koste das Trocknen der frisch beschichteten und gewalzten Elektroden umso mehr Zeit und Energie, je feuchter sie in die Öfen kommen. Bei heutigen Beschichtungsgeschwindigkeiten um 20 m/min, so war auf der VDMA-Konferenz zu hören, erfordere es 35 m lange Trockenöfen, damit der Fertigungsprozess nicht ins Stocken gerät.

Es geht aber noch unter 2 % Luftfeuchte. Nerling realisiert im Folgeprojekt einen Reinraum mit maximal 0,5 %. Werte, die Fabrikplaner der M + W Group schon umgesetzt haben. Bei der Zell-Montage und dem Befüllen mit Elektrolyt seien unter 0,5 % Luftfeuchte bereits Stand der Technik. PETER TRECHOW

Herausforderung 0,5 % Luftfeuchte

-Um Prozessluft auf derart niedrige Werte zu trocknen, setzen die Klimatechniker der Reinraumbauer auf Adsorption. Die Luft wird dafür durch Adsorbenzien wie Silicagel oder Zeolithe geführt, an denen sich die Wassermoleküle aus der Luft anlagern. In abgeschotteten Bereichen werden die vollgesogenen Adsorbenzien dann mit elektrisch erzeugter Wärme regeneriert. Das Wasser verdampft. Damit die dabei eingesetzte Energie nicht verloren geht, wird sie über Wärmetauscher zurückgewonnen und in den Prozess zurückgeführt

-Neben der Trocknung ist die messtechnische Überwachung anspruchsvoll. Werte unter 2 % sind mit herkömmlichen Luftfeuchte-Messern nicht detektierbar. Die Anlagenbauer gehen deshalb den Umweg über Taupunkt-Messungen. Bei einer Luftfeuchte von 2 % bilden sich erste Tautropfen ab minus 30 °C abwärts. Die geforderten 0,5 % Luftfeuchte entsprechen einem Taupunkt um minus 60 °C. PT

Fertigungsspezialisten gründen "Industriekreis Batterieproduktion"

-"Wer die Herstellungskosten für Hochleistungsbatterien am schnellsten senkt, entscheidet das Rennen für sich. Produktionstechnik ist dafür der Schlüssel", brachte Hartmut Rauen von der VDMA-Hauptgeschäftsführung die Motivation für den "Industriekreis Batterieproduktion" vorigen Freitag auf den Punkt.

-Bis 2020 werden weltweit voraussichtlich 4,8 Mrd. € in Produktionstechnik zur Batteriefertigung investiert. Der deutsche Maschinen- und Anlagenbau strebt hier mindestens 25 % Marktanteil an. Voraussetzung für den Markterfolg sind nach Einschätzung von Michael Wenzel, Vorsitzender des Fachverbandes Robotik und Automation im VDMA, Innovationsnetzwerke, die für Hersteller der Batterien integrierte Lösungen aus einer Hand entwickeln. "Sie werden in Zukunft kaum auf 15 Lieferanten für 15 Prozessschritte setzen", mahnte er. Der VDMA-Industriekreis sei die richtige Plattform für solche Netzwerke.

-Einig waren sich die 110 anwesenden Industrievertreter bei der Auftaktveranstaltung, dass die Entwicklung von Batterien und der entsprechenden Produktionstechnik für Großserien in Optimierungsschleifen geschehen muss. Nur wer neue Erkenntnisse schnell zur Marktreife bringe und Produktionstechnik so flexibel auslege, dass sich Innovationen sofort in die Prozesse integrieren lassen, werde sich im globalen Wettbewerb durchsetzen, so der Tenor.

-Als weitere Herausforderung sahen die Experten integrierte Qualitätsmessungen in Echtzeit in allen Schritten der Fertigungskette, höhere Produktivität durch schnellere Beschichtung und auf breiteren Elektrodenfolien sowie durchgängig digitalisierte Fabriken. PT

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